Die Demontage klassischer Vorlagen gehört zur Basisarbeit einer jeden Kinderoper. Es gilt die Bausteine abzutragen und auf kindergerechte Weise wieder neu zusammenzusetzen – so dass im Idealfall
ein neues buntes Operntürmchen voller Bezüge entsteht. Auch der erneute Griff in die prallvolle Opernkiste am Staatstheater fördert dessen Lieblingsvorlagenspender Christoph Willibald Gluck mit
einer Fülle an Fußnoten zu Tage. Seine Zauber-Oper „Armide“ landet in der Autorenwerkstatt von Wiebke Hetmanek und Johann Casimir Eule und ist ein weiteres Elementarteilchen (inzwischen das
fünfte!) der Theaterschaffenden auf der Suche nach der sanften und geistreichen Kulturrevolution im Kinderzimmer.
Die Angelegenheit beginnt mit verbalen und optischen Karambolagen zweier echter und ziemlich aufgerüschter Zicken. Die Zauberin Armide (Annette Constanze Kroll) und die Fee Lully (Eva-Marie
Pausch) liefern sich heftige Wortgefechte wer wohl die Schönste und Klügste unter dem Dach roter bzw. azurblauer Toupet-Kunst sei. Schnell ist klar, dass Armide das Alphafrauchen mimt, die mit
großer Klappe, aber bescheidenen Zauberkünsten alles und jeden in ein Schwein verwandelt. Das hat zur Folge, dass sie und Lully zusammen mit Wurzelzwerg Willibald (Christian Huber) allein auf
einer Insel mit 7000 Schweinen hausen. Doch statt zu verzaubern soll Armide endlich be-zaubern lernen.
Dazu wird Christoph (Thomas Fahner) aus dem Publikum rekrutiert. Dem lässig-charmanten Handlungsdiener wird mit aufgesetzter rosa Brille einseitig ein bisschen Liebe zu Armide angehext und
Willibald bekommt einen Sprachdreher verpasst. Er sagt künftig immer das Gegenteil dessen, was er denkt. Wer kann da noch helfen? Christophs Freundin Marianne (Eleonora Vacci), die zu spät um zu
verhindern aufkreuzt und hektisch SMS-tippend die Gluck’sche Arien-Variation „Ach, ich habe ihn verloren“ anstimmt, übernimmt das Kommando des Suchtrupps mit allerlei inhaltlichen
Windhosen.
Weil in der Kinderoper Klaumauk und Koloratur auf gleicher Augenhöhe konkurrieren nimmt der Plot an Fahrt auf und der Bann kann nur mit Hilfe eines interaktiven Entzauberungslieds durch das
Publikum gebrochen werden. Der Mitmachspaß unter der Regie von Ulrich Proschka begeistert dabei große und kleine Leute. Studierende der Hochschule für Musik in Nürnberg (unter der Leitung von
Christian Huber) halten das kammermusikalische Zepter fest in der Hand und begleiten sourverän durch Arie, Duett und Terzett. Dass sich Willibald, der Held in der Komposthaufen-Optik des
Erdgeists, am Ende als tageslichttauglicher Prinz entpuppt und Lully zur Seite gestellt wird, beschließt ein klassisch-märchenhaftes Happy End. Siegel: „Schwein gehabt!“
Nürnberger Nachrichten